Eine Analyse der Wirkung US-amerikanischer Importzölle unter Trump auf die globalen Handels- und Schuldenstrukturen
_ Dr. Hendrik Hagedorn, Gastforscher, Institut für konservative Wirtschaftspolitik (IKW). Erstveröffentlichung im Magazin Krautzone. Berlin, 11.12.2025.
Die paradoxe Empörung über ein vermeintlich selbstschädigendes Instrument
Als Präsident Donald Trump im Frühjahr 2025 seine neue Zollpolitik ankündigte, löste dies international erheblichen Protest aus. Auffällig war, dass die Kritik in Europa mindestens ebenso intensiv ausfiel, wie in den Vereinigten Staaten selbst, obwohl gleichzeitig die These vertreten wurde, die USA schadeten sich mit diesen Maßnahmen primär selbst. Diese widersprüchliche Reaktion wirft die Frage auf, warum eine Politik, die angeblich vor allem den Initiator trifft, weltweit derart starke Besorgnis auslöst.
Die Logik der globalen Abhängigkeit vom US-Markt und der Kreditfinanzierung
Eine hilfreiche Analogie bietet die bekannte finanzwirtschaftliche Regel: Bei einem Kredit von einer Million, den der Schuldner nicht bedienen kann, hat der Schuldner das Problem; bei einer Milliarde liegt das Problem bei der Gläubigerbank. Ähnlich verhält es sich im globalen Handel. Die Produktionsstrukturen zahlreicher Volkswirtschaften sind seit Jahrzehnten stark auf den Export in die USA ausgerichtet, wobei die exportorientierten Unternehmen in hohem Maße kreditfinanziert sind. Die Erwartung, diese Kredite aus den Erlösen des US-Geschäfts tilgen zu können, basierte auf der Erfahrung der vergangenen fünf Jahrzehnte. Drohen die USA nun eine deutliche Reduktion ihrer Importe an, entstehen für amerikanische Konsumenten zwar höhere Preise und eine geringere Warenverfügbarkeit, doch für die Exportnationen besteht das existenziellere Risiko, Absatzmärkte zu verlieren und damit die Bedienung ihrer Auslandsschulden zu gefährden. Hinzu kommt die Ankündigung einer radikalen Reduktion neuer Auslandsschulden der USA, was Zweifel an der weiteren Finanzierbarkeit des US-Defizits aufwirft und erhebliche Schockwellen durch die Zentralbanken der Welt senden könnte.
Auswirkungen auf US-Unternehmen und die Frage nach dem größeren Verlierer
Die Zölle betreffen selbstverständlich auch amerikanische Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf günstigen Importen von Rohstoffen und Vorprodukten sowie auf freiem Zugang zu Weltmärkten beruht. Um diese Unternehmen trotz höherer Kosten konkurrenzfähig zu halten und gleichzeitig Produktion sowie Beschäftigung in die USA zurückzuholen, wären erhebliche Steuersenkungen erforderlich. Ob dies gelingt, bleibt offen. Im geopolitischen Machtpoker entscheidet jedoch nicht allein, wer am meisten gewinnt, sondern ebenso, wer am wenigsten verlieren kann. Die erste Erkenntnis eines Konflikts besteht darin, dessen Ernsthaftigkeit zu akzeptieren.
Ein kalter Handelskrieg mit Opferbereitschaft
Die Trump-Administration hat deutlich gemacht, dass sie zur Erreichung ihrer Ziele auch innenpolitische und wirtschaftliche Opfer in Kauf nimmt. Kritik aus Teilen der deutschen Medien, eine signifikante Reindustrialisierung der USA würde Jahrzehnte dauern und die Zollpolitik könne daher keinen kurzfristigen Erfolg haben, verkennt das eigentliche Ziel. Bereits die glaubwürdige Drohung eines solchen Abwanderungsprozesses entfaltet weitreichende Wirkungen. So gewährte die EU Anfang Mai 2025 den europäischen Automobilherstellern zusätzliche Fristverlängerungen bei der Erfüllung der CO₂-Grenzwerte und legte zuvor das EU-Lieferkettengesetz auf Eis. Es erscheint nur eine Frage der Zeit, bis auch der European Green Deal in seiner bisherigen Form aufgegeben wird, zumal die USA unter Trump das Pariser Klimaabkommen erneut verlassen haben. Unter radikal veränderten Standortbedingungen jenseits des Atlantiks wird sich die EU ihre ambitionierte Klimapolitik langfristig nicht mehr leisten können. Der primäre Effekt der Zollpolitik ist daher unmittelbar und ideeller Natur: Sie zwingt globale Akteure, von ihrer bisherigen regulatorischen und klimapolitischen Agenda Abstand zu nehmen.
Die Fragilität der gegenwärtigen Wirtschaftsmodelle
Die internationale Empörung ist folgerichtig, weil zahlreiche Volkswirtschaften die Fragilität ihres export- und schuldgetriebenen Modells erkennen müssen. Deutschland leidet unter den bekannten Belastungen durch hohe Energiekosten (Destatis, 2025⁹), Bürokratie, Steuerlast und demografische Herausforderungen; China kämpft mit Alterung, einer anhaltenden Immobilienkrise und einer zunehmenden Einschränkung wirtschaftlicher Freiheiten (. Viele asiatische Volkswirtschaften fürchten zudem eine Umlenkung chinesischer Überkapazitäten auf ihre Märkte. Gleichzeitig halten sie große Bestände an US-Staatsanleihen, deren Bedienung unsicherer wird. Die Gesamtkonstellation zeigt Parallelen zur Situation vor der Großen Depression der 1930er Jahre, mit protektionistischen Tendenzen und mangelnder Bereitschaft zu echtem Freihandel. Die EU erhebt seit langem höhere Zölle auf US-Produkte als umgekehrt, und China hält seine Währung seit Jahrzehnten künstlich niedrig . Die von Trump monierte Benachteiligung amerikanischer Exporteure ist daher empirisch belegt.
Der Bruch mit dem alten Dollar-Privileg
Die beschriebene Konstellation ist nicht neu; neu ist lediglich, dass ein US-Präsident sie aktiv bekämpft. Jahrzehntelang wurde das Privileg, die Welt mit Dollar-Liquidität zu versorgen und im Gegenzug reale Güter zu erhalten, als Vorteil betrachtet. Die Reservewährungsfunktion des Dollars führt strukturell zu einem chronischen Leistungsbilanzdefizit der USA und gleichzeitig zu einer künstlichen Aufwertung, die die Erosion der industriellen Basis begünstigt hat. In den USA standen sich stets zwei Lager gegenüber: eine finanz- und geopolitische Elite, die den Dollar-Status verteidigte, und die produzierende Wirtschaft, die unter dem starken Dollar litt.
Ein asymmetrischer und freiheitlicher Konflikt
Der aktuelle Handelskonflikt ist asymmetrisch, materiell wie ideell, und richtet sich auch gegen Teile des eigenen finanzpolitischen Establishments. Paradoxerweise stellt die Verhängung von Schutzzöllen einen Akt der Prioritätensetzung dar: Erstmals seit Ronald Reagan erhält die Realwirtschaft („Main Street“) wieder Vorrang vor der Finanzwirtschaft („Wall Street“). Sollte die Politik zusätzlich Plan- und Staatswirtschaft in EU und China zurückdrängen, eine globale Refokussierung auf die Realwirtschaft einleiten, eine nachhaltige Dollar-Abwertung bewirken und letztlich zu bilateralen Handelsabkommen zu amerikanischen Konditionen führen, wäre das strategische Ziel erreicht.
Quellen
- Bank for International Settlements (BIS) (2025). BIS Quarterly Review, March 2025. https://www.bis.org/publ/qtrpdf/r_qt2503.htm
- Congressional Budget Office (CBO) (2025). The Budget and Economic Outlook: 2025 to 2035. https://www.cbo.gov/publication/61172
- D. H., Dorn, D. and Hanson, G. H. (2020). The China Shock: Learning from Labor-Market Adjustment to Large Changes in Trade. Annual Review of Economics.
- European Commission (2024). Wichtigste Partner der EU im internationalen Handel. URL: https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/products-euro-indicators/w/2-04072024-bp#:~:text=Quelle:%20EZB-,Wichtigste%20Partner%20der%20EU,Euro)%20registriert
- European Parliament (2025). Handel zwischen der EU und den USA: mögliche Auswirkungen neuer Zölle auf Europa. URL: https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20250210STO26801/handel-zwischen-der-eu-und-den-usa-mogliche-auswirkungen-neuer-zolle-auf-europa
- ING (2025). EU-US Trade Strategy. URL: https://think.ing.com/articles/eu-us-trade-strategy/
- Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) (2025). Deutschland in der Standortkrise 2025. https://www.iwkoeln.de/studien/standortfaktoren
- National Bureau of Statistics of China (NBS China) (2025). China Statistical Yearbook 2024. http://www.stats.gov.cn/english/StatisticalYearbook
- Obstfeld, M. and Rogoff, K. (2005). Global Current Account Imbalances and Exchange Rate Adjustments. Brookings Papers on Economic Activity.
- Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) (2024). Trade in goods and services. https://data.oecd.org/trade/trade-in-goods-and-services.htm
- Phan, T. H., Stachuletz, R., & Nguyen, H. T. H. (2022). Export Decision and Credit Constraints under Institution Obstacles. Sustainability, 14(9), 5638. https://doi.org/10.3390/su14095638
- Statistisches Bundesamt (Destatis) (2025). Energiepreise und Energieverbrauch 2024. https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Energie/Preise
- United States International Trade Commission (USITC) (2025). The Economic Effects of Significant U.S. Import Restraints. https://www.usitc.gov/publications/332/pub5560.pdf
- World Trade Organization (WTO) (2024). Tariff Profiles 2024. https://www.wto.org/english/res_e/statis_e/tariff_profiles_e.htm
- World Trade Organization (WTO) (2024). World Trade Statistical Review 2024. https://www.wto.org/english/res_e/statis_e/wts2024_e/wts2024_e.pdf
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