Sektorale Salden und Nachfrageschwäche: Warum Deutschland eine aktive Fiskalpolitik braucht
~ Zur Diskussion gestellt. ~
_ Konstantin Schink, Gastforscher, Institut für konservative Wirtschaftspolitik (IKW). München, 08.12.2025.*
Einordnung der vier Sektoren der Volkswirtschaft
In einer modernen Volkswirtschaft lassen sich die wirtschaftlichen Aktivitäten in vier zentrale Sektoren gliedern: den Staat, die Unternehmen, die privaten Haushalte und den Rest der Welt (Ausland). Die Nettoverschuldung eines Sektors entspricht dabei exakt dem Nettosparen der übrigen Sektoren, was auf der fundamentalen Identität der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen beruht. Private Haushalte neigen in nahezu allen historischen und gesellschaftlichen Kontexten dazu, einen signifikanten Anteil ihres Einkommens zurückzulegen, um zukünftige Unsicherheiten abzufedern. Während der Phase des Wirtschaftswunders in Westeuropa, die von den 1950er bis in die 1970er Jahre andauerte, agierten Unternehmen in den westlichen Industrieländern überwiegend als Nettoschuldner, während die Staatsdefizite auf ein moderates Niveau beschränkt blieben. Dieses Gleichgewicht ermöglichte es, das Sparverhalten der privaten Haushalte vollständig durch die Investitionsaktivitäten der Unternehmen auszugleichen, was zu einem robusten Wachstum beitrug.
Der historische Wandel durch Zinsanstiege seit den 1970er Jahren
Diese Konstellation wandelte sich jedoch grundlegend im Gefolge der Ölkrisen der 1970er Jahre, die zu einer scharfen Anhebung der Zinsen durch die Zentralbanken führten und somit die Investitionsdisposition der Unternehmen nachhaltig dämpften. Über mehrere Jahrzehnte hinweg überstieg der Leitzins in den meisten Industrieländern die nominale Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts, was eine prohibitiv hohe Belastung für potenzielle Investitionen darstellte und zu einer Abkehr von risikoreichen Projekten führte. Bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 wechselten Unternehmen in den meisten Ländern auf die Seite der Nettosparer, was eine systemische Verschiebung in der Finanzierungsstruktur der Volkswirtschaften einleitete.
Der historische Wandel durch Zinsanstiege seit den 1970er Jahren
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang zu betonen, dass eine simultane Sparbemühung aller Sektoren zu einer paradoxen Dynamik führt: Die Ausgaben eines Sektors bilden die Einnahmen eines anderen, sodass eine kollektive Reduktion der Ausgaben – unabhängig von der individuellen Rationalität – die gesamte Nachfrage drosselt und damit die volkswirtschaftliche Produktion einengt. Die entstehenden Ersparnisse materialisieren sich nicht in liquiden Mitteln, sondern in Finanzinstrumenten wie Anleihen, Aktien und Immobilien, deren Bewertung durch die nachlassende Produktion und den damit einhergehenden Einkommensrückgang erodiert. Dieser Mechanismus, bei dem eine intendierte Erhöhung der Ersparnisse durch deren Wertminderung zu einer netto geringeren Sparquote führt, wird als Sparparadoxon bezeichnet und stellt ein zentrales Element keynesianischer Makroökonomik dar.
Auswirkungen von Sparen auf Unternehmen und Gesamtwirtschaft
Sparen impliziert grundsätzlich einen Nachfragerückgang, der – sofern er nicht durch kompensatorische Ausgaben in einem anderen Sektor neutralisiert wird – die Umsätze der Unternehmen schmälert und sie zu einer Anpassung der Produktionsmengen oder Preissenkungen zwingt. Auf abnehmende Gewinne reagieren Unternehmen typischerweise mit einer Kontraktion der Produktion, was wiederum zu einer Reduktion des Arbeitskräftebedarfs führt und somit Lohnrückgänge oder Arbeitslosigkeit auslöst. Gesamtwirtschaftlich ist Sparen daher nur realisierbar, wenn ein anderer Sektor – sei es der Staat oder das Ausland – eine entsprechende Verschuldung übernimmt, um die Nachfrage zu stützen.
Deutschlands Nachfrageschwäche und exportgetriebene Strategie
In Deutschland beläuft sich das jährliche Sparvolumen der privaten Haushalte auf mehr als 200 Milliarden Euro, ergänzt um einige Dutzend Milliarden Euro aus dem Nettosparen der Unternehmen, die seit 2003 diesen Status einnehmen. Die deutsche Strategie zur Bewältigung dieses strukturellen Nachfrageausfalls beruht auf der Externalisierung der Verschuldung ins Ausland, was durch eine exportgetriebene Wirtschaftspolitik ermöglicht wird. Eine detaillierte Analyse der zugrunde liegenden Lohnmoderationspolitik und ihrer Rolle bei der Stärkung der Exportindustrie würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen; stattdessen sei auf die präzise Darstellung der merkantilistischen Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik durch Heiner Flassbeck hingewiesen, der diese Strategie als systemisches Ungleichgewicht innerhalb Europas beleuchtet.
Grenzen des deutschen Exportmodells seit den 2010er Jahren
Diese abhängigkeitsinduzierte Politik, die auf der Verschuldung europäischer Handelspartner basiert, um das deutsche Wachstum zu sichern, stieß spätestens Ende der 2010er Jahre an ihre Grenzen. Die Nachfrage aus dem europäischen Ausland ließ nach, bedingt durch die von der EU auferlegten Austeritätsprogramme, während außereuropäische Partner wie die USA unter Präsident Donald Trump zunehmend protektionistische Maßnahmen gegen den deutschen Exportüberschuss ergriffen. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss erreichte sein historisches Maximum im Jahr 2015, die Industrieproduktion kulminierte 2018, und seit 2022 zeichnet sich ein Schrumpfung der gesamten deutschen Wirtschaft ab, was auf anhaltende konjunkturelle Schwäche hinweist.
Verpasste wirtschaftspolitische Neuausrichtung
Deutschland hat sich über Jahrzehnte hinweg auf Kosten von Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich stabilisiert, doch als diese Option ausgeschöpft war, versäumte es, eine fundamentale Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik vorzunehmen. Dies hätte primär schuldenfinanzierte staatliche Investitionsprogramme und substantielle Lohnsteigerungen zur Stärkung der Inlandsnachfrage erfordert. Die anhaltende Untätigkeit resultierte in einem Jahrzehnt stagnierenden Wachstums, in dem Deutschland gegenüber Konkurrenten wie den USA und China, die durch expansive Verschuldung und höhere Wachstumsraten profitierten, weiter abrutschte und seinen relativen Wohlstand einbüßte.
Vorschlag: Staatliche Verschuldung in Höhe des Sparvolumens
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, dass der deutsche Staat eine Verschuldung in der Höhe des jährlichen Sparvolumens von Unternehmen und Haushalten aufnimmt, was etwa 200 bis 300 Milliarden Euro entspricht. Dieser Vorschlag wurde jüngst in einem Beitrag der Zeitschrift Offensiv! aufgegriffen und dort kritisch diskutiert. Der Verfasser warf dem Konzept vor, es beruhe auf einer naiven Gleichsetzung von Geld und Wohlstand, übersähe die langfristigen Belastungen durch höhere Staatsverschuldung und führe letztlich zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Inflation oder ineffizienten Ausgaben. Im Folgenden wird auf die zentralen Einwände eingegangen und gezeigt, warum sie aus makroökonomischer Sicht nicht überzeugen.
Kritikpunkt 1: Die angebliche Gleichsetzung von Geld und Wohlstand
Besonders reizvoll ist die Frage, warum eine Fiskalpolitik, die derjenigen der USA ähnelt, als gefährlich gelten soll. „Ein zentraler Fehler dieser Argumentation und zugleich ein weit verbreiteter Denkfehler generell ist die Annahme, dass Geld gleich Wohlstand sei.“ – Diese Zuschreibung stellt einen klassischen Strohmann dar, da eine solche Gleichsetzung weder explizit noch implizit in meinen Überlegungen vorkommt.
Kritikpunkt 2: Verweis auf Hyperinflation 1923 – historische Fehlinterpretation
„Folgt man dieser Logik zu Ende, könnte man leicht auf die Idee kommen, einfach Geld zu drucken, um so den Wohlstand eines Landes zu erhöhen. Dass genau dies nicht funktioniert, mussten unsere Vorfahren im Rahmen der Hyperinflation im Jahr 1923 am eigenen Leib erfahren. Wenn also mehr Schulden aufgenommen werden, ohne dass zeitgleich die Produktion steigt, sinkt lediglich die Kaufkraft des Geldes.“ – Die Hyperinflation der Weimarer Republik resultierte nicht primär aus hohen Schulden in der nationalen Währung, die das Deutsche Reich während des Ersten Weltkriegs aufnahm, sondern aus den in Naturalien und Goldmark zu leistenden Reparationsforderungen des Versailler Vertrags. Die Reichsmark konnte die Zentralbank theoretisch beliebig emittieren, wohingegen Gold und Kohle nicht replizierbar waren. Hinzu kam ein massiver Angebotsschock infolge der Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen.
Weder eine Erhöhung der Geldmenge noch steigende Staatsverschuldung in Eigenwährung implizieren zwangsläufig eine Inflationsdynamik, wie die Erfahrungen der Weltkriege verdeutlichen. Die USA expandierten ihre Staatsverschuldung in Relation zum BIP während des Ersten Weltkriegs von 6 Prozent im Jahr 1916 auf 35 Prozent im Jahr 1918 und während des Zweiten Weltkriegs von 43 Prozent im Jahr 1940 auf 112 Prozent im Jahr 1945. Die Geldmenge M2 vervierfachte sich im Ersten und verzehnfachte sich im Zweiten Weltkrieg, ohne dass eine Hyperinflation eintrat, da die Schulden in die Produktion kriegswichtiger Güter investiert wurden, was die Konsumgüterpreise stabil hielt. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte sogar eine Deflation mit einer Inflationsrate von minus 10 Prozent im Jahr 1921. Schulden in Eigenwährung sind somit grundsätzlich bedienbar, ohne systemische Risiken zu erzeugen.
Im Gegensatz dazu erzeugen Schulden in Fremdwährung oder Rohstoffen massive Vulnerabilitäten: Wenn die Zentralbank Geld emittiert, um diese zu bedienen, depreziert der Wechselkurs, was Importpreise in die Höhe treibt und eine kostendruckinduzierte Preisspirale auslöst. Unternehmen passen Löhne an, um Reallöhne zu erhalten, was die Inflation weiter befeuert und Kapitalflucht verstärkt, da das Vertrauen in die Währung schwindet und Investoren zu Sachwerten oder Devisen greifen. Hyperinflationen sind ein rares Phänomen, das nahezu ausschließlich mit Angebotsschocks und hoher Fremdwährungsverschuldung einhergeht. Schulden in Eigenwährung können eine solche Spirale nicht initiieren, da die Zentralbank sie jederzeit refinanzieren kann, ohne den Wechselkurs oder die Inflationsdynamik zu beeinträchtigen.
Kritikpunkt 3: Staatsausgaben und Produktionssteigerung
„Die Produktion steigt durch Staatsschulden aber nur, wenn profitable Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden. Rentenerhöhungen, oder das bloße Ankurbeln der Nachfrage zählen nicht dazu.“ – Diese Position reflektiert einen grundlegenden Kognitionsfehler, der in vielen ökonomischen Schulen, einschließlich der universitätsdominierenden neoklassischen Theorie, verankert ist. Unternehmen erweitern ihre Produktion bei jeder Nachfragesteigerung, die sie bedienen können, unabhängig von der Quelle. Schuldenfinanzierte Rentenerhöhungen erhöhen den Konsum der Empfänger proportional zu ihrer Marginalpropensität zu konsumieren. Unternehmen reagieren darauf mit Preisanpassungen und einer Expansion des Angebots. Solche Preisanstiege sind jedoch transient und dienen der Profitabilitätssicherung; bei stabilen Rohstoff– und Lohnkosten kehren die Güterpreise zum Ausgangsniveau zurück. Erst bei Knappheit von Faktoren wie Arbeit oder Rohstoffen entsteht eine persistente Inflationsdynamik. Angesichts der globalen Bildung von Rohstoffpreisen und der Dominanz von Finanzspekulationen ist es unwahrscheinlich, dass eine Nachfragesteigerung in einem Land mit nur einem Prozent der Weltbevölkerung signifikante globale Preisverwerfungen auslöst.
Starke Lohnsteigerungen als Folge einer expansiven Konjunktur können indes einen Inflationsimpuls darstellen, weshalb eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik sicherstellen muss, dass Löhne langfristig nicht über der Summe aus Zielinflation und Produktivitätswachstum zunehmen. Daraus ergibt sich jedoch nicht die Notwendigkeit, die Wirtschaft aus inflationsbedingter Vorsicht in einem Zustand chronischer Unterauslastung zu belassen. Die Konsequenzen einer solchen defätistischen Haltung sind in Deutschland und der gesamten EU evident: niedrige Wachstumsraten und ein relativer Rückstand gegenüber Konkurrenten mit flexibleren Politikansätzen. Es ist charakteristisch für liberale Wirtschaftspolitiken, aus Furcht vor unbeabsichtigten Effekten oder vor einer vermeintlichen Konzentration von Macht auf staatliche Interventionen zu verzichten, was lösbare Probleme chronifiziert. Diese Haltung manifestiert sich präzise im aktuellen wirtschaftlichen Niedergang Deutschlands, den der Staat durchaus beenden könnte, wenn er nicht durch inflationsängste, Schuldenphobien oder selbstauferlegte Regeln wie die Schuldenbremse behindert würde.
Kritikpunkt 4: Gefahr von Assetinflation durch Staatsausgaben?
„Inflation ist dann die unvermeidliche Folge, sei diese nun eine Wareninflation, wie die, die wir heute an der Supermarktkasse spüren, oder einer Inflation der Anlagenwerte. Letzteres nennt man ‚Assetinflation‘. – Eine Assetinflation entsteht durch eine Zunahme der Nachfrage nach Vermögenswerten wie Immobilien oder Aktien. Dazu reicht weder eine bloße Geldschöpfung noch höhere Staatsausgaben aus; es muss Liquidität bei Akteuren mit hoher Sparneigung ankommen. Rentenerhöhungen, die primär zu Konsum bei Rentnern oder Transfers an Nachkommen führen, bergen somit ein Risiko für Güterinflation, jedoch keines für Assetinflation. Letztere würde durch Transfer an hochsparende Gruppen wie Reiche entstehen, was neoliberale Regierungen der vergangenen Jahrzehnte durch Steuersenkungen und Lohnmoderation systematisch gefördert haben.
Kritikpunkt 5: Verzerrung von Preissignalen durch staatliche Investitionen?
„Auch heute folgen noch viele Ökonomen, aber auch Laien der Annahme, dass staatliche Investitionen zwangsläufig zu einer höheren Nachfrage, einer höheren Produktion und schlussendlich zu einem höheren Wohlstand führen würden. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Produktion nicht einfach der Nachfrage folgt, sondern vielmehr den Preissignalen. Unternehmer investieren stets dort, wo sie sich einen möglichst hohen Gewinn versprechen. Jenseits des Infrastrukturbaus, sofern er sinnvoll ist, verzerren staatliche Eingriffe diese Preissignale, indem sie Projekte fördern, die unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen nicht tragfähig wären.“ – Bei der Lektüre dieses Passus drängen sich zahlreiche Fragen auf: Welche Kriterien definieren „normale marktwirtschaftliche Bedingungen“? Wie manifestieren sich unverzerrte Preissignale? Was genau konstituiert eine Verzerrung? Wenn Rentner durch höhere Renten verstärkt Zeitschriften oder Cafébesuche nachfragen, warum sollte dies als Verzerrung gelten, während eine gesteigerte Nachfrage nach Stahl durch Schienenbau als neutraler Effekt akzeptiert wird? Aus dieser wirren Argumentation spricht letztlich ein fundamentales Ressentiment gegen einen aktiven, handlungsfähigen Staat.
Kritikpunkt 6: Staatsfeindlichkeit und der Mythos vom schlanken, effizienten Staat
„Noch gravierender wird die Problematik dadurch, dass viele Politiker Investitionen nicht nach ökonomischer Vernunft, sondern entweder nach ideologischen Zielen steuern, oder danach, welcher Lobbyist sie wie stark bearbeitet hat. Die deutsche Klimapolitik ist Paradebeispiel für beides: Deutschland hat hunderte von Milliarden ausgegeben bei dem Versuch, den Klimawandel durch die Subventionierung erneuerbarer Energien zu bekämpfen. Dabei ist ein ganzes Biotop an undurchsichtigen Lobbyverbänden, NGOs und Unternehmen, deren Branche ohne Subvention nicht lebensfähig ist, entstanden. Das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck war da nur die Spitze des Eisbergs.“ – Selbstredend führt die aktuelle Regierung eine Reihe unnötiger oder schädlicher Ausgaben durch, doch dies geschieht unter den Zwängen der Schuldenbremse und der maastrichter Defizitgrenzen. Der ideologische Imperativ zur Reduktion staatlicher Ausgaben verhindert nicht Korruption oder Ineffizienz. Die Prämisse, dass ein sparsamerer Staat per se effizienter und weniger korrupt wäre, wurzelt in einer ideologisch geprägten Staatsfeindlichkeit, die empirischer Überprüfung nicht standhält. Weder eine hohe Staatsverschuldungsquote noch eine expansive Staatsquote korrelieren mit überdurchschnittlicher Korruption: Ist Somalia mit einer Staatsquote von 7 Prozent weniger korrupt als Jordanien mit 34 Prozent oder Frankreich mit 58 Prozent? Werden der Libanon mit 11 Prozent oder Haiti mit 8 Prozent effizienter regiert als Länder wie Japan, Schweden, Deutschland oder Ungarn, in denen der Staat etwa die Hälfte der Wirtschaftsleistung umverteilt oder einsetzt?
Hier offenbart sich erneut eine grundlegende Staatsfeindlichkeit, die dem Motto folgt: Wenn der Staat nichts unternimmt, kann er auch nichts falsch machen! Eine einfache Lösung für die skizzierten Missstände – wie die Kürzung von Fördermitteln für grüne NGOs oder die Demontage patronagebasierter Netzwerke – erfordert keine neoliberale Sparpolitik, die Wachstum schädigt, sondern eine rationale Umverteilung unabhängig vom Ausgabenvolumen oder der Verschuldung.
Kritikpunkt 7: Staatsverschuldung als „Raubbau an der Zukunft“?
„Hohe Staatsschulden sind nichts anderes als ein Raubbau an der Zukunft. Jeder Euro, den der Staat heute auf Pump verteilt, muss morgen von Steuerzahlern zurückgezahlt werden – mit Zinsen.“ – Staatsschulden, die für inländische Ausgaben aufgenommen werden, generieren automatisch Einkommenszuwächse in der Bevölkerung, die sich in kumulierten Sparquoten als Vermögenszuwachs niederschlagen. Wenn der Euro, den der Staat ausgibt, nicht an Dritte wie die Ukraine oder Israel transferiert wird, sondern Rentnern zugutekommt, steigert er somit das gesamtgesellschaftliche Vermögen.
Kritikpunkt 8: Kurzfristiger Nutzen vs. langfristige Last?
„Kurzfristig mag die Verschuldung zwar einen positiven wirtschaftlichen Effekt haben, langfristig wächst jedoch die Schuldenlast der zukünftigen Generationen.“ – Jede Handlung, die kurzfristig das Wachstum stimuliert, muss – bei wiederholter Anwendung – auch langfristig kumulativ wirken. Andernfalls müsste präzise begründet werden, warum abweichende ökonomische Gesetze in der Langfrist gelten und welcher Transmissionsmechanismus diese Diskontinuität erzeugt. Der Beitrag lässt diese Fragen – wie die neoklassische Theorie – unbeantwortet.
Der Grund hierfür ist evident: Es existiert keine kohärente Erklärung für die fundamentale Ablehnung schuldenbasierter Politik gegen den Strich der empirischen Evidenz der letzten hundert Jahre, in denen nahezu jede Rezession durch expansive Konjunkturprogramme beendet wurde. Stattdessen werden ad–hoc–Zusammenhänge konstruiert, die ausschließlich in der „Langfrist“ wirken, um Gegenbeispiele als „kurzfristig“ abtun zu können, ohne sie substantiell zu adressieren.
Kritikpunkt 9: „Versteckte Steuer“ durch Staatsverschuldung?
„Letztlich bedeutet dies nichts anderes als eine Verschiebung der Steuerlast in die Zukunft. Es stimmt natürlich, dass ein Staat in seiner eigenen Währung technisch nicht bankrott gehen kann, weil er sie beliebig drucken kann. Aber für das Geld, welches dadurch in Umlauf kommt, wollen die Schuldner des Staates ja auch etwas kaufen. Irgendwo im System entsteht dadurch eine versteckte Steuer, die erst später erhoben wird, sei dies nun durch Wareninflation, Assetinflation, oder auf andere Art.“ – Der behauptete Mechanismus, der zusätzliche Schulden zu Steuererhöhungen oder einer „versteckten Steuer“ führt, bleibt undurchsichtig. Die ökonomischen Effekte schuldenfinanzierter Rentenerhöhungen habe ich bereits erläutert: Sie stimulieren Konsum und Produktion. Die Gläubiger des Staates sind primär Banken, die vom zusätzlichen Zentralbankgeld profitieren, ohne dass es zu realen Käufen führt – es verbleibt als Reserven bei der EZB und generiert Zinsen. In einem zweistufigen Geldsystem entsteht daraus keine weitere Dynamik. Wer die Profite des Finanzkapitals an der Staatsfinanzierung moniert, sollte stattdessen eine direkte Monetarisierung durch die Zentralbank fordern, anstatt generelle Enthaltsamkeit zu propagieren.
„Besonders fatal ist dies für die jungen Generationen, die schon heute unter hohen Abgaben leiden und die Fehler früherer Politik, wie etwa die gescheiterte Rentenpolitik, ausgleichen müssen. Oft können sie kaum Vermögen aufbauen und der Hauskauf ist für sie meist ein unerfüllbarer Traum.“ – Um diese Ungleichgewichte zu adressieren, müsste der Staat den Aufbau privaten Immobilienvermögens fördern – was vor allem eines erfordert: ausreichende Mittel. Förderprogramme zur Erhöhung der Eigenheimquote wären leichter finanzierbar, wenn die eigene Handlungsfähigkeit nicht durch eine ideologische Fixierung auf leere Kassen sabotiert würde.
„Dies soll nur eine skizzenhafte Kritik an weltfremden Aussagen sein. Dabei soll keineswegs der Eindruck entstehen, dass ein dogmatischer Fokus allein auf die Wirtschaft, wie er gerade in liberalkonservativen Kreisen verbreitet ist, die Lösung all unserer Probleme sein könnte. Eine gesunde rechte Position im Bereich der Wirtschaftspolitik muss stets betonen, dass die Wirtschaft dem Volk zu dienen hat und nicht umgekehrt.“ – Und die Wirtschaft dient dem Volk am besten, wenn der Staat möglichst wenig interveniert, möchte man ergänzen. Wenn etwas als weltfremd und gefährlich zu klassifizieren ist, dann nicht die Forderung nach einer pragmatischen Fiskalpolitik, die dem Sparverhalten von Unternehmen Rechnung trägt, sondern eine liberale Staatsfeindlichkeit, die aus Ressentiments heraus die eigene Handlungsfähigkeit untergräbt.
Für eine lebensfähige Zukunft Deutschlands muss der Liberalismus in der Wirtschaftspolitik radikal dekonstruiert werden.
Literatur- und Quellenverzeichnis
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