Wirtschaftspolitische Reaktion auf einen negativen Angebotsschock
~ Zur Diskussion gestellt. ~
_ Konstantin Schink, Gastforscher, Institut für konservative Wirtschaftspolitik (IKW). 30.08.2022.*
Definition und Charakteristik eines Angebotsschocks
Ein Angebotsschock tritt ein, wenn sich die Preise grundlegender Rohstoffe wie Öl oder wichtiger Industriemetalle auf breiter Front stark erhöhen. Dies führt zu einer Verschlechterung der Terms of Trade und stellt einen negativen Produktivitätsschock dar. Solche Schocks sind in der makroökonomischen Literatur als exogene Störungen des Angebots beschrieben, die durch plötzliche Preissteigerungen bei importierten Inputs ausgelöst werden.
Auswirkungen auf Preisniveau, Realeinkommen und gesamtwirtschaftliche Nachfrage
Bei grundlegenden Rohstoffen ist die Substitutionselastizität kurzfristig sehr gering, da diese Güter nicht leicht ersetzt werden können. Beispielsweise können Fahrzeuge nicht abrupt mit alternativen Energieträgern betrieben werden, und in Industrieländern führt eine Verteuerung von Nahrungsmitteln nicht zu einem signifikanten Rückgang des Konsums. Die Preissteigerungen schlagen daher kurzfristig fast vollständig auf das allgemeine Preisniveau durch, was zu einer temporär stark erhöhten Inflation führt. Bei konstanten Nominallöhnen sinken dadurch die Reallöhne, da die Kaufkraft der Einkommen abnimmt.
Dieser Schock ist kurzfristig mit einer Phase hoher Inflation bei sinkenden Realeinkommen verbunden, die an Stagflation erinnert. Die Inflation ist jedoch temporär: Nach dem Ende des Schocks fällt sie rasch auf niedrige Niveaus zurück, wobei die Anpassung durch die Lieferkette ein bis zwei Jahre dauern kann. Die Reallohnsenkungen wirken hingegen dauerhaft, solange keine Anpassungen erfolgen.
Global betrachtet erhalten rohstoffexportierende Länder durch höhere Preise Mehreinnahmen. Würden diese vollständig für zusätzlichen Konsum verwendet, bliebe die weltwirtschaftliche Produktionsstruktur unverändert – es handelte sich lediglich um eine Umverteilung des Konsums von Importeuren zu Exporteuren. In der Realität erhöhen Exporteure jedoch typischerweise ihre Sparquote, anstatt den Konsum zu steigern. Der Nachfrageausfall bei den Importeuren wird somit nicht kompensiert, was zu geringerem Konsum, reduzierter Produktion, Ausfall von Kapazitäten und steigender Arbeitslosigkeit führt. Oberflächlich wirkt der Schock inflationär, mittel- und langfristig jedoch deflationär durch Nachfragemangel. Die eigentliche Gefahr liegt daher in schweren Rezessionen mit dauerhafter Zerstörung von Produktionsstrukturen und hoher Arbeitslosigkeit, nicht primär in der hohen Inflation.
Empfohlene wirtschaftspolitische Maßnahmen
Forderungen nach starken Lohnsteigerungen zur Kompensation der Realeinkommensverluste sind volkswirtschaftlich ungeeignet. Übermäßige Lohnanstiege würden von Unternehmen durch höhere Preise weitergegeben, was eine dauerhafte Lohn-Preis-Spirale mit persistent höherer Inflation auslösen könnte. Steigende Importpreise lassen sich nicht durch Lohnanstiege kompensieren, da diese sofort inflationsfördernd wirken. Stattdessen sollten Nominallöhne gemäß der goldenen Lohnregel ansteigen: um die Zielinflation plus das Produktivitätswachstum. Dies stabilisiert langfristig die Inflation, da sie den Lohnstückkosten folgt, die als Quotient aus Lohnkosten und Produktivität definiert sind.
Bei fehlender Kompensation durch Exporteure oder Unternehmen (die Lohnanstiege inflationsneutral vermeiden sollten) muss der Staat den Nachfrageausfall ausgleichen. Durch Erhöhung der Staatsausgaben im Umfang des Konsumeinbruchs infolge sinkender Realeinkommen stabilisiert der Staat das Realeinkommen insgesamt. Dies verhindert die Zerstörung von Produktionskapazitäten und dauerhafte Arbeitslosigkeit; im Optimalfall kann eine Rezession vollständig vermieden werden.
Der Preis ist ein temporäres Leistungsbilanzdefizit durch verschlechterte Terms of Trade. Dieses Defizit verschwindet, sobald der Konsum sich erholt und die Ausgaben schrittweise abgebaut werden. Langfristig löst sich das Problem höherer Rohstoffpreise durch Substitution: Unternehmen investieren in neue Produktionsstrukturen, was Zeit erfordert (Jahre bis Jahrzehnte). Der Staat kann dies durch direkte Investitionen unterstützen; private Investitionen werden durch eine akkommodierende Geldpolitik gefördert, die niedrige Zinsen sicherstellt. Notenbanken sollten keinesfalls Zinsen erhöhen, da dies Investitionen und Nachfrage weiter dämpft.
Diese Strategie – Stabilisierung des Konsums durch Fiskalpolitik und Förderung von Investitionen durch Geldpolitik – minimiert die Auswirkungen des Schocks und verhindert Rezessionen. Sie wirkt kontraintuitiv, da trotz hoher Inflation expansive Maßnahmen empfohlen werden, im Gegensatz zu Empfehlungen, die isoliert auf Inflation fokussieren.
Potenzielle Risiken der empfohlenen Strategie
Das temporäre Leistungsbilanzdefizit erhöht Nettoschulden gegenüber dem Ausland, was in Entwicklungs- und Schwellenländern problematisch sein kann, in Industrieländern jedoch unproblematisch ist, da es vorübergehend und erwartbar reversibel ist. Eine Lohn-Preis-Spirale droht, wenn Gewerkschaften trotz temporärer Inflation übermäßige Lohnforderungen durchsetzen; dies lässt sich durch konsequente Anwendung der goldenen Lohnregel vermeiden. Überkompensation durch den Staat könnte mittelfristig Inflation fördern, doch dies ist derzeit hypothetisch. Primär gilt es, die konkrete Gefahr dauerhafter Arbeitslosigkeit und Kapazitätsverluste zu bekämpfen. Die Inflationsrate ist während des Schocks verzerrt; zur Beurteilung persistenter Risiken eignet sich das Lohnwachstum besser. Bleibt dieses moderat, sinkt die Inflation post-Schock rasch.
Die Vorteile liegen in der Vermeidung von Rezessionen, dauerhafter Kapazitätsstilllegungen und hoher Arbeitslosigkeit. Diese Überlegungen basieren auf Analysen zur Ölkrise der 1970er Jahre, in der Regierungen und Notenbanken konträr handelten: Zinserhöhungen führten zu höherer Arbeitslosigkeit und langfristigen Problemen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge zu berücksichtigen und nicht panisch auf Inflation zu reagieren.
Quellen
- Deutsche Bundesbank (2022). Eingangsstatement anlässlich der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts 2022. URL: https://www.bundesbank.de/de/presse/reden/eingangsstatement-anlaesslich-der-vorstellung-des-des-finanzstabilitaetsberichts-2022-der-deutschen-bundesbank-900590.
- Deutsche Bundesbank (2022). Rückkehr der Inflation: Gefahr für Wohlstand und Arbeitsplätze? URL: https://www.bundesbank.de/de/presse/reden/rueckkehr-der-inflation-gefahr-fuer-wohlstand-und-arbeitsplaetze–900246.
- Europäische Zentralbank (ECB) (2023). Gesamtwirtschaftliche Euroraum-Projektionen von Fachleuten der EZB, September 2023. URL: https://www.ecb.europa.eu/press/projections/html/ecb.projections202309_ecbstaff~4eb3c5960f4.de.html.
- Flassbeck, H. und Spiecker, F. (2014). Unser Geldsystem III – Die erste Ölpreiskrise, die Löhne und die Rolle der Geldpolitik. URL: https://drive.google.com/file/d/1j1hyYt3q_do9ofxi565LNKSvi08HYo1W/view?pli=1.
- Grömling, M. (2022). Ökonomische und soziale Folgen von Inflation. Institut der deutschen Wirtschaft (IW). URL: https://www.iwkoeln.de/studien/michael-groemling-oekonomische-und-soziale-folgen-von-inflation.html.
- Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023). Reallöhne und Nominallöhne. URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Realloehne-Nettoverdienste/_inhalt.html.
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